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Perspektivenwechsel – Freiwilliges Arbeiten auf Südtiroler Bergbauernhöfen

Perspektivenwechsel – Freiwilliges Arbeiten auf Südtiroler Bergbauernhöfen

So könnte Ihr Südtirol-Urlaub auch aussehen: harte Arbeit statt Müßiggang mit einfacher Kost und einem Tagesablauf, der sich einzig und allein nach den Sonnenstunden richtet. Inmitten der Natur und vor gewaltiger Bergkulisse Tiere versorgen, Locals kennenlernen und Beziehungen fürs Leben knüpfen. Abends erschöpft in die Federn fallen – und noch Wochen danach, längst zurück im Büro oder Homeoffice, sich an den Hof zurücksehnen. Weil die Arbeit dort mehr gebracht hat, als dass sie Mühen gekostet hätte. Und der eigene Kopf ein Stückchen freier war.

Wer sich schon immer mal gefragt hat, wie das Leben und Arbeiten auf einem echten Bergbauernhof jenseits der tausend Höhenmeter ist, der wende sich an die Bergbauernhilfe. Der gemeinnützige Verein nämlich kümmert sich um den Erhalt der Höfe – und damit auch um das eigene kulturelle Erbe. Die Bergbauernhilfe klärt Euch über die Bedingungen auf, berät, was am besten zu Euch passen könnte und bei echtem Interesse vermitteln sie an die infrage kommenden Höfe. Minimum muss man/frau eine Woche arbeiten, und das unentgeltlich. Interessant ist es auch, vor dem Gespräch die Erlebnisberichte auf der Website zu lesen.

Tatsächlich fehlen den Südtiroler Bergbauernhöfen durch Abwanderung junger Leute die anpackenden Hände. Der Preisverfall auf dem Agrarmarkt und die harte, aber relativ ertragsarme Arbeit hoch „droben“ tun ihr Übriges. Seit 1996 versuchen die, BERGBAUERNHILFE dem entgegenzuwirken. Ist ein Hof in erster Linie doch Heimat für die dort Lebenden. Aber auch ein Arbeitsplatz in und mit der Natur, der ganz nebenbei absolut notwendig ist für die „drunten“ im Tal.

Arbeit gibt es das ganze Jahr über, Hauptsaison ist jedoch zwischen Juni und September, wenn die Ernte eingefahren wird. Dabei bleibt man in erster Linie draußen auf den Weiden oder in den Ställen. Aber auch in der Küche oder bei der Versorgung von Alten und beeinträchtigten Hof-Bewohnern und Kindern kann Hilfe nötig sein. Das Einsatzgebiet richtet sich dann auch nach dem Talent und Eignung der Bewerber*innen.

Die Arbeit dort oben bringt mehr als sie Mühen gekostet hat

Heu machen

Heu ist das Futter der Tiere. Vor allem im Sommer wird der Vorrat für die harten Wintermonate eingelagert. Damit nichts verrottet, muss es selbstverständlich vorher von der Sonne getrocknet werden. Dort, auf den steilen Hangwiesen, wo das Gras wächst, muss es nach dem Mähen gewendet werden, solange das Wetter stabil bleibt. So „ganz ohne“ ist es nicht, den ganzen Tag am abschüssigen Hang mit der Heugabel zu hantieren. Obwohl Maschinen dabei helfen können, ist es tatsächlich vor allem die gute alte Handarbeit – also an Handschuhe denken, um Blasen vorzubeugen!

Gerade im September sind helfende Hände dringend benötigt, wenn der so wichtige zweite Schnitt eingebracht werden muss

Stallarbeit

Mit dem Gang in den Stall fängt der Tag an – und hört meistens auch damit wieder auf. Ausmisten etwa zwischen den im Stall verbleibenden Kühen oder Ziegen. Auch hier kann man Freundschaften knüpfen, vor allem, wenn es um das Füttern der Kälbchen geht. Eier aus dem Hühnerschlag einsammeln sowie die Huftiere pflegen, gehört ebenfalls zum Dienstplan. Das Melken ist nur an wenigen Höfen Teil des freiwilligen Arbeitseinsatzes. Das liegt ganz einfach daran, dass dies in der Regel Chefsache ist und außerdem viel Fingerspitzengefühl voraussetzt.

Holzarbeit

Holz fungiert auf einem Bergbauernhof quasi als Universal-Material. Ähnlich wie beim Heu muss das Brennholz zum Heizen in den Sommermonaten gesägt, maschinell gespalten und anschließend eingelagert werden. Aber man braucht es auch, um Zäune aufzustellen: Durch gefallenen Schnee oder zu Tal rutschenden Lawinen werden jedes Jahr viele Zaunpfähle umgeworfen und so die Begrenzungen der Weideflächen für die Tiere zerstört. Die müssen natürlich vorher aus Stämmen kleinerer Bäume erst zu Pfählen verarbeitet werden: Entrinden und Anspitzen, auf den Berg transportieren und dann einschlagen. Der offenbar ganz simple Arbeitsablauf ist jedoch gleichzeitig der Muskelkater-Verursacher Nummer Eins – so steht es zumindest in den vielen Erlebnisberichten von Berghelfer*Innen.

Hausarbeit

Je nach Talent oder körperlicher Verfassung, aber auch je nach Wetter fallen drinnen und rund ums Haus genügend weitere Tätigkeiten an. Beispielsweise kochen. Gerade wegen der vielen körperlichen Arbeit sollte man dreimal täglich einige Kalorien zu sich nehmen. Natürlich gibt es auch Hofbewohner*innen, die aufgrund ihres Alters – Kinder oder Ältere – oder mit körperlichen Einschränkungen, betreut werden müssen, zumal Bauer und Bäuerin in der Regel draußen genug zu tun haben. Dazu zählen Holz in ofengerechte Scheite zu hacken und anschließendes Aufschichten ebenso dazu, wie sich um den eigenen Anbau im Garten kümmern.

Angst vor der Arbeit mit den eigenen Händen sollte man eher nicht haben. Zaunstangen entrinden, Heu wenden, Stall ausmisten und Tiere füttern, Kochen, Haushalts- und Gartenarbeit sind hier auf der Tagesordnung. Nicht nur die Hände bekommen zu tun, es sind vor allem Geist und Herz, die hier nachhaltig wiederbelebt werden. Sämtliche Teilnehmer berichten davon, dass die Arbeit auf dem Bergbauernhof ihren Horizont erweitert hat. Das beruht auch auf Gegenseitigkeit – z. B. begrüßen es viele Bäuerinnen und Bauern, dass ihre Kinder auch mit „vermeintlich Fremden“ zu tun haben und den Umgang als etwas natürliches erlernen.

Wenn Sie also beim nächsten Mal in Südtirol im Tal stehen, den Kopf in den Nacken legen und die majestätisch thronenden Höfe an den steilen Hängen erblicken, dann nehmen Sie doch unser Buch wieder zur Hand oder geben auf dem Smartphone „bergbauernhilfe.it“ ein. Vielleicht ist das der Moment, in dem ihre nächste „Urlaubsplanung“ eine ganz neue Perspektive erhält.